„Durch und durch sachlich / absolut zugewandt / flexibel / warmherzig / sie wusste was sie wollte
und sie bekam auch was sie wollte / progressiv / sehr konsequent / man fühlte sich wertgeschätzt / keine
Scheu vor männlichen Koryphäen / sehr strukturiertes Denken / sie war sehr gut vernetzt / sie war sehr
engagiert / sie war eine intelligente, kunstbeflissene, energische Frau / sehr fürsorglich, sehr
familienbewusst / sie hat uns Flügel gegeben / durchsetzungsfähig / mit einer großen Liebe und einer engen
Beziehung zu den Dingen / die zuhörte, die aber auch gleichzeitig eine sehr dezidierte Meinung hatte / fand
ich schon fortschrittlich / immer gut gelaunt / als konservativen Menschen empfunden / sie war wirklich eine
Persönlichkeit, die man eigentlich nicht so einfach vergisst“
Du stehst gerade vor den Restaurierungswerkstätten, dem Archiv des Museums und der Schreinerei. Hier waren
bis 1985 Büros und die Verwaltung untergebracht, da das Museum für Kunsthandwerk damals nur
aus der Historischen Villa Metzler und den hier zu sehenden Gebäuden bestand.
Die 1920 in Schlawe (poln. Sławno) geborene Annaliese Ohm entdeckte schon früh ihre Leidenschaft für Kunst
und besonders für Kunsthandwerk. 1940 begann sie ihr Studium der Kunstgeschichte und Archäologie, 1951
promovierte sie. Ihr Studium finanzierte sie, indem sie Stroh zu Alltagsobjekten flocht und diese verkaufte.
Ihre Nichte beschrieb Annaliese Ohm als geschickt und fantasievoll. Darauf folgten viele Jahre, in denen sie
erste Berufserfahrungen im Kultusministerium, in der Denkmalpflege und dem Landschaftsverband in
Nordrhein-Westfalen sammelte. Führungen und Kurse, die sie Schüler:innen, Studierenden und interessierten
Lai:innen gab, zeigten bereits damals, wie sehr sie sich für die Vermittlung von Kunst und Kultur begeisterte.
Ihre Bildungsreisen in Länder wie Schweden, England, Italien, Griechenland, Ägypten und die Tschechoslowakei
(heute: Tschechien, Slowakei und Teil der Ukraine) machten Annaliese Ohm deutlich, so sagte sie selbst,
„welche Hilfe und welche Tröstung von der Kunst ausgeht“.
Ab 1964 arbeitete Annaliese Ohm im Museum für Kunsthandwerk als einzige wissenschaftliche Mitarbeiterin des
damaligen Direktors. Zwei Jahre später wurde sie zur Abteilungsleiterin und Kuratorin für europäisches
Kunsthandwerk ernannt. 1974 trat sie die Stelle als erste weibliche Direktorin des Museums an. Die bekannten
Frankfurter Museen wurden in den 1970er Jahren allesamt von Männern geleitet, nur das Museum für Kunsthandwerk
nicht! So erinnert sich auch Ivonne Rochau-Balinge, die mit Annaliese Ohm später im International
Women’s Club of Frankfurt e. V. zusammengearbeitet hat:
„[…] In den […] 1970er und 80er Jahren war es ungewöhnlich, dass eine Frau ein Museum leitete. Aber
sie hat es mit ihrem Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen geschafft und sie hatte die Gabe mit einer
gewissen charmanten Art Leute zu überzeugen. Aber sie konnte auch knallhart sein. Das musste man auch sein,
um sich behaupten zu können.“
Als Annaliese Ohm ihre Stelle antrat, hatte das Museum für Kunsthandwerk nur wenige Mitarbeitende. Nach und
nach schaffte sie es, die dringend zu besetzenden Stellen für die Museumspädagogik, die Schreinerei sowie
Restaurierung und Kuration einzurichten. Ihre Vision, das Museum neu, professionell und der großen Sammlung
angemessen aufzustellen, konnte sie nun durchsetzen.
Annaliese Ohm förderte besonders weibliche Museumsmitarbeiterinnen. Ihre damalige Kollegin Dr. Eva-Maria
Hanebutt-Benz erzählt:
„Sie hat zum Beispiel […] ermöglicht, dass ich ein Fullbright Reise-Stipendium in den USA
wahrnehmen konnte und so vier Wochen durch amerikanische Museen mit einer Gruppe von Kolleginnen und
Kollegen aus Europa gereist bin. Ich konnte alles ansehen, Vorträge und vieles mehr miterleben. Dass Ohm das
für eine jüngere Kollegin, eine untergeordnete Mitarbeiterin möglich machte […]. Da schimmerte schon ein
sehr starkes, menschliches Interesse durch.“
Annaliese Ohms progressive Museumspolitik zeigte sich auch darin, dass sie die leitenden Stellen im
wissenschaftlichen Bereich inklusive der Kunstvermittlung fast ausschließlich mit Frauen besetzte. Sie leitete
ihre Mitarbeitenden an, selbstständig und verantwortungsbewusst zu arbeiten und sich eigenständig
einzubringen.
War diese Förderung ganz bewusst auf Frauen ausgerichtet, vielleicht sogar ein feministischer Ansatz? Auch
wenn wir das aus heutiger Sicht nicht sicher beantworten können, so lässt sich eines klar festhalten:
Annaliese Ohm wollte auch Mitarbeiterinnen mit Familie eine Karriere ermöglichen, was bis heute längst nicht
überall erreicht wird! Sie richtete deshalb ihre Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse von Frauen und engagierte
sich auch im International Women’s Club of Frankfurt e. V., dessen Präsidentin sie von 1988 bis 1989
war.
Ihr Mut, ihre Kraft und ihr Durchhaltevermögen gründeten in ihrer „oft verzweifelten Suche nach
Heimat“, wie sie selbst sagte. Annaliese Ohms existenzielles Bedürfnis, mit Kunst und Kultur eine Heimat
zu schaffen, lässt sich vermutlich durch ihre eigene Flucht aus Kolberg (poln. Kołobrzeg) 1945 erklären. Sie
verstand das Museum als einen Ort, der – unabhängig von seiner geografischen Lage – für Menschen eine Heimat
sein kann.
Kurz nach ihrer Pensionierung 1987 bekam Annaliese Ohm für ihre herausragenden Leistungen für das
zeitgenössische Kunsthandwerk und die Verwirklichung des Neubaus das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.
Nach über vierzig Jahren erfolgreicher Tätigkeit in der Kunst- und Kulturszene bezog sie 2000 ein Altenheim in
Lübeck, wo sie drei Jahre später verstarb.
Welche nachdrückliche Wirkung Annaliese Ohm als Museumsdirektorin hatte, beschreibt Dr. Sabine Runde:
„Wenn man gefördert wird, lernt man viel. Alleine schon diese positive Haltung bringt einen weiter.
Sie verhilft einem Mut zu haben Entscheidungen zu treffen und Vertrauen zu haben. Nicht nur in sich selbst,
sondern auch in andere.“
Quellen:
Familie Bartels, Traueranzeige, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.2003.
Margrit Bauer, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 01.09.2021, ab 26:52 Min., ab
26:58 Min., ab 27:00 Min., ab 27:02 Min., ab 27:16 Min.
Roland Burgard, Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main, Frankfurt am Main: Museum für
Kunsthandwerk, 1988, S. 28.
Inge Burggraf, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 07:21 Min., ab
07:40 Min.
H. D., „Zu wenig Platz für viele Schätze. CDU-Politiker informieren sich im
Kunsthandwerksmuseum“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 48, 01.03.1978.
W. E., Frankfurt Gesichter. Annaliese Ohm, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.1982.
A. G., „Die Sammlungen fürs Publikum. Dr. Annaliese Ohm wird neue Direktorin des
Kunsthandwerkmuseums“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 119,
24.05.1974, S. 52.
Antje und Johannes Hachmöller, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 22.09.2021, ab
08:50 Min., ab 08:56 Min.
Eva-Maria Hanebutt-Benz, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 01:40
Min., ab 01:45 Min., ab 05:30 Min., ab 20:00 Min., ab 20:06 Min., ab 25:16 Min., 25:30–25:35 Min., 25:40–26:12
Min., ab 28:04 Min., ab 28:19 Min., ab 28:30 Min., ab 28:36 Min., ab 29:57 Min., ab 30:10 Min.
International Women's Club Frankfurt e. V., Traueranzeige, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, März 2003.
Annaliese Ohm, Abschiedsrede, Manuskript, 20.05.1987, S. 2.
Annaliese Ohm, Lebenslauf, Museumsarchiv.
Annaliese Ohm, Lebenslauf, Personalakte, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: 1964.
Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Bundesverdienstkreuz für Dr. Annaliese Ohm.
Bürgermeister Dr. Hans-Jürgen Moog überreicht den Orden, Pressemitteilung, 11.11.1987.
Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Große Verdienste um das Deutsche Kunsthandwerk.
Zum Abschied der Museumsdirektorin Dr. Annaliese Ohm, Pressemitteilung, 18.05.1987.
Ivonne Rochau-Balinge, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 00:44
Min., ab 01:08 Min., ab 01:13 Min., ab 37:40 Min., ab 41:31 Min.
Sabine Runde, Gespräch, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 14.07.2021.
Sabine Runde, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 25:20 Min., ab
35:00 Min.