Wir danken






Prolog


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„Wenn man als Frau in eine Männerrunde hineinkommt, dann kann sich das ganz unterschiedlich gestalten. Und oft nicht positiv für einen selbst.“

Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit. Woran erinnern wir uns?

An Männer, die den Lauf der Welt und die Welt selbst beeinflusst haben. An Entscheidungsträger, an Politiker. An Autoren, Künstler, Intellektuelle.

Wo bleiben da eigentlich die Frauen? Schreiben sie keine Geschichte? Haben sie nicht auch Vergangenheit und Gegenwart beeinflusst?

Natürlich haben sie das. Viele sogar mehr als ihre jeweiligen Zeitgenossen. Ohne Katharina die Große wäre Russland keine Großmacht. Ohne Marie Curie wären weltbewegende erste Schritte der Kernphysik erst viel später passiert. Ohne das von Hedy Lamarr entwickelte Frequenzsprungverfahren hätten wir vielleicht weder GPS noch Wifi.

Natürlich tauchen Frauen in Geschichtsbüchern auf. Wenn wir aber ein Lexikon aufschlagen, reiht sich Mann an Mann an Mann an Mann … und Frauen erscheinen wie Randnotizen. Von anderen Geschlechtern mal ganz abgesehen.

Wir mussten uns der Frage nach „vergessenen Frauen“ im Jahr 2020 mit besonderer Deutlichkeit auch am Museum Angewandte Kunst stellen. Bei Recherchen zu einer Sammlungsausstellung stießen wir das erste Mal auf den Namen „Dr. Annaliese Ohm“.

 „[…] Ich kenne den Grund warum sie vergessen wurde nicht, sie war so herausragend. […] Ich verstehe es auch nicht. Sie war eine Persönlichkeit, die man eigentlich nicht so einfach vergisst. Und wenn ich das Museum Angewandte Kunst sehe, dann denke ich an Frau Dr. Annaliese Ohm […].“

Ohne Annaliese Ohm würdest du heute nicht vor diesem prachtvollen Museumsbau stehen. Sie war die bisher einzige Direktorin des Hauses und zu ihrer Zeit eine absolute Ausnahmeperson. Nicht nur als eine der wenigen Frauen in leitender Position eines Museums, sondern auch als Pionierin der Museumspädagogik und Nachwuchsförderung.

Die Visionärin hat das Museum Angewandte Kunst und die kulturelle Landschaft Frankfurts nachhaltig geprägt. All ihre Zeitgenossinnen erinnern sich wohlwollend an sie, beschreiben die Zeit mit ihr sogar als „schönste und fruchtbarste Zeit ihres Lebens“.

2020, knapp 40 Jahre später, waren – bis auf den Neubau – kaum Spuren von Annaliese Ohm zu finden. Kein Wikipedia-Eintrag, nicht einmal eine Plakette, Erinnerung, Nennung, irgendwo am oder im Museumsbau.

Als junge Museumsmacherinnen wollen wir dazu beitragen, Geschichte richtig zu schreiben. Mit diesem Rundgang schließen wir Lücken in der Museumshistorie und geben Annaliese Ohm und ihren Leistungen ihren wohlverdienten Platz in der Geschichte zurück.

Herzlich willkommen zum Angewandte Walk.

 

Quellen:

Eva-Maria Hanebutt-Benz, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 46:36–46:46 Min.

Ivonne Rochau-Balinge, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 41:22–41:43 Min.

Eine Villa als Museum

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Das ursprüngliche Gebäude des Museum für Kunsthandwerk in der Neuen Mainzer Straße wurde im zweiten Weltkrieg vollständig zerstört. Danach dauerte es über zwanzig Jahre, neue Räumlichkeiten für das Museum zu finden und die über die Stadt verstreuten, in Kisten verstauten Objekte wieder zugänglich zu machen. Die Historische Villa Metzler, vor der du jetzt stehst, bot dem Museum nach der langen Zeit wieder einen festen Standort. In der um 1804 als Privathaus errichteten Villa konnte wenigstens ein Teil der Sammlung wieder gezeigt werden. Dies war allerdings nur mit erheblichen Einschränkungen möglich. In den sehr kleinen und beengten Räumen der Villa ließen sich nur wenige Objekte der Sammlung präsentieren.

Diese unhaltbare Situation weckte in der Kunsthistorikerin Dr. Annaliese Ohm die Vision eines Museumsneubaus, der der Sammlung mehr Beachtung und internationale Anerkennung bringen sollte. Ein Ort, an dem Menschen mit den Objekten in Kontakt treten könnten und der zum Verweilen einladen würde.

Der Neubau sollte nicht nur Platz für Objekte, Menschen und Begegnungen bieten. Er sollte auch Raum für mehr Arbeitsstellen schaffen und einen für die damalige Zeit progressiven Vermittlungsansatz etablieren, in dem die Museumspädagogik auch räumlich mitgedacht wurde. Als Ort des interkulturellen Austausches und des Dialoges sollte der Neubau Brücken schlagen.

Taktisch und klug setzte Annaliese Ohm ihre ganze Energie für einen solchen Museumsneubau ein. So beschreibt die Kuratorin Dr. Sabine Runde die Durchsetzungskraft ihrer damaligen Vorgesetzten:

„Sie konnte sehr temperamentvoll sein und erzählt wird, dass sie bei Hilmar Hoffman den Schuh auszog und mit dem Absatz auf den Tisch gehauen hat. Ich fand das immer ein großartiges Bild von ihr, weil ich ihr diese Geste absolut zugetraut habe.“

Ihr Wille, etwas bewirken zu wollen und ihre Beharrlichkeit führten dazu, dass Annaliese Ohm die Umsetzung ihrer Vision gelang; ein Vorhaben, an dem ihre beiden Direktionsvorgänger gescheitert waren.

 

Quellen:

Margrit Bauer, „Geschichte des Museums und seine Sammlung“, in: Museum. Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt am Main, Braunschweig: 1985, S. 17.

Margrit Bauer und Joachim Schwarzkopf (Hrsg.), Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main. 1974–1987, Frankfurt am Main: Museum für Kunsthandwerk 1987, S. 10.

Volker Fischer, Richard Meier. Der Architekt als Designer, Stuttgart: Edition Axel Menges 2003, S. 82.

Sabine Runde, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 10:20 Min.

Für die Sammlung ein Haus voll Licht

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Seit Dr. Annaliese Ohms Ernennung zur Direktorin des damaligen Museum für Kunsthandwerk 1974 strebte sie danach einen Ort zu schaffen, an dem die zum größten Teil eingelagerte Sammlung sichtbar werden sollte. In der Villa Metzler, dem Sitz des Museums, gab es dafür keinen Platz. Zahlreiche Sonderausstellungen mussten deshalb im Karmeliterkloster stattfinden. Begleitende Kataloge sollten strategisch die herausragende Qualität der Sammlung zeigen und die Notwendigkeit neuer Museumsräume belegen.

Mit dem US-amerikanischen Architekten Richard Meier fand Annaliese Ohm einen Partner, der das Gebäude für ihre Museumsvision entwarf. Sie schätzte Richard Meiers Integration und Weiterentwicklung des Vorhandenen. Der Architekt achtete beispielsweise auf den alten Baumbestand im Park. Auch war es ihm wichtig, die klassizistische Villa Metzler als Ausstellungsfläche zu erhalten und einzubinden.

Vom quadratischen Grundriss der Villa Metzler inspiriert, gliederte Richard Meier seinen Neubau in drei weitere Quadrate. Diese umschließen die Villa wie ein L. Verglaste Brücken bilden Übergänge zwischen den einzelnen Baukörpern. Inmitten der vier Gebäudeteile liegt ein Innenhof mit Brunnen und Steinbänken. Er ist durch Wege mit den umliegenden Parkteilen zu einem zusammenhängenden öffentlichen Raum verbunden. Der graue italienische Granit „Serizzo Antigoriol“ zieht sich vom Innenhof bis in das Foyer und verbindet so Innen und Außen. Annaliese Ohm wollte ein lebendiges Museum schaffen, einen Ort, an dem sich Menschen gerne aufhalten und der für die Sammlung des Museums die bestmögliche Sichtbarkeit bietet.

Wie wichtig Annaliese Ohm die Umsetzung des Neubaus war, erzählt die damalige Verwaltungsangestellte Inge Burggraf: „Wir haben versucht Geld zu erhalten und den Neubau so zu gestalten wie Frau Dr. Ohm es wollte. Wir waren uns aber nicht sicher, ob wir das Geld auch wirklich bekommen. Auf dem Weg zu dem Herrn von der Rechnungsführung, der uns das Geld geben sollte, […] hatte sie Angst, dass es abgelehnt wird. Deshalb hat sie dann geweint.“ Aus diesen Tränen wurden später Freudentränen.

Während der dreijährigen Bautätigkeiten musste Annaliese Ohm den Ursprungsplan hartnäckig verteidigen. Daraus entstand der Mythos ihres allmorgendlichen Besuchs im Kulturamt. Der damalige Kulturdezernent Hilmar Hoffmann sagte scherzhaft in seiner Abschiedsrede für Annaliese Ohm: „Wenn Frau Ohm mal nicht von jetzt auf gleich einen Termin bei mir bekam, stand sie am nächsten Morgen früh um 8 auf der Matte.“ Die Stadtplaner forderten Verkleinerungen, um die Kosten zu reduzieren. Vom Landesdenkmalamt kamen Einwände in Bezug auf den Fassadendurchbruch für die Brücke zur Villa. Doch Annaliese Ohm setzte sich durch, sodass der Neubau 1984 exakt wie ursprünglich geplant fertiggestellt werden konnte und die Sammlung eine neue Heimat fand.

Die Kuratorin Dr. Sabine Runde begann während der Bauzeit ihre Tätigkeit für das Museum und erinnert sich: „Das war eine sehr entscheidende Phase, weil 1985 der Neubau eröffnet wurde und Frau Dr. Ohm diesen erst durch ihre Energie durchsetzen konnte. Die Zeit war sehr intensiv, weil es bedeutete, dass das gesamte Museum von klein nach groß umziehen würde.“

In ihrer Abschiedsrede 1987 beschrieb Annaliese Ohm ihre Ziele für den zwei Jahre zuvor eröffneten Bau: einen lebendigen, angemessenen großzügigen Rahmen zu schaffen, der auch die Natur einschließt, und menschliche Dimensionen nicht aus dem Auge verliert. Annaliese Ohm wollte Menschen angewandte Kunst vermitteln. Sowohl historische als auch zeitgenössische Objekte aus Europa und aus Asien waren Teil der Sammlung. In ihrer Eröffnungsrede betonte Annaliese Ohm die sich kreuzenden Nord-Süd- und Ost-West-Achsen in der Architektur, anhand derer sie auf die internationale Herkunft der Sammlungsobjekte verwies. Auf diesen Achsen können wir gedanklich in Orte wie Peking und Tokio und auf der Gegenseite in die USA und Kanada reisen.

Endlich hatte Annaliese Ohm genug Platz, um die damalige Sammlung ihren Vorstellungen entsprechend auf der sechsfachen Fläche der Villa Metzler auszustellen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In den ersten zwei Jahren nach der Eröffnung besuchten mehr als 750.000 Menschen das Museum – viele alleine wegen der Architektur des, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb: „spektakulärste[n] und schönste[n] Neubau[s] eines Museums in der Bundesrepublik.“

Doch bereits zur Eröffnung gab es auch Kritik an dem Bau von Richard Meier. Mehr dazu ist in der Station Ein Blick ins Haus. Die Museumseinrichtung 1985 zu hören.

 

Quellen:

Margrit Bauer, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 01.09.2021.

Margrit Bauer und Joachim Schwarzkopf (Hrsg.), Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main. 1974–1987, Frankfurt am Main: Museum für Kunsthandwerk 1987, S. 8.

Inge Burggraf, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 24:10–24:17 Min., 24:50–25:24 Min.

Hilmar Hoffmann, Mitteilung zur Eröffnung des Neubaus, Veröffentlichung des Stadtrats und Kulturdezernenten, ca. 1985, S. 10.

Hilmar Hoffmann, Rede zum Abschied Dr. Annaliese Ohm, Manuskript, 20.05.1987, S. 5.

Claudia Michels, „Für das Kunsthandwerk ein Haus voll Licht“, in: Frankfurter Stadtrundschau, 24.04.1985.

Annaliese Ohm, Abschiedsrede, Manuskript, 20.05.1987, S. 2.

Annaliese Ohm, Neubau des Museums für Kunsthandwerk, Entwurf eines Informationsblatts der Stadt Frankfurt, verantwortlich Dr. A. Ohm, ca. 1987.

Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Bundesverdienstkreuz für Dr. Annaliese Ohm. Bürgermeister Dr. Hans-Jürgen Moog überreicht den Orden, Pressemitteilung, 11.11.1987.

Sabine Runde, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 2:00–2:17 Min., 2:31–2:38 Min.

Doris Schmidt, „Abschied für Annaliese Ohm. Wechsel im Frankfurter Museum für Kunsthandwerk“, in: Süddeutsche Zeitung, 132, 11.06.1987, S. 37.

Ein Blick ins Haus. Die Museumseinrichtung 1985

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Lass uns gedanklich zusammen die Neueröffnung des Museum für Kunsthandwerk im Jahr 1985 besuchen. Wir würden das Haus anders erleben: Im Erdgeschoss befänden sich wie heute das Foyer, ein Restaurant, ein Raum für Wechselausstellungen, die Bibliothek und die Verwaltung. Sobald wir auf der Rampe in den ersten Stock hinaufgehen würden, stünden wir in den Räumen der Dauerausstellung. Da Dr. Annaliese Ohm mit einem Museumsneubau in erster Linie Platz für die ständige Präsentation der Sammlungen schaffen wollte, waren die Räume mit fest eingebauten Vitrinen- und Podest-Landschaften als freistehende Raumteiler versehen. Diese hatte der Architekt Richard Meier zusammen mit dem Bau entwickelt.

Im gesamten ersten Obergeschoss, wo du jetzt stehst, und in der Villa Metzler, war die europäische Abteilung ausgestellt. Chronologisch vom Mittelalter bis zur Gegenwart geordnet, hatte jede Epoche einen eigenen Raum, in dem unterschiedliche Objekte und Materialien gezeigt wurden. Durch eine Brücke ist die Historische Villa in den Rundgang einbezogen. Im zweiten Obergeschoss befanden sich die Sammlungsschwerpunkte der ostasiatischen und islamischen Abteilungen, sowie der Schrift- und Buchkunst mit Grafik-Studio.

Annaliese Ohm und ihre Kolleg:innen organisierten die Sammlungen geografisch, indem sie europäische und außereuropäische Objekte trennten. Die Kuratorin Dr. Sabine Runde erinnert sich an die Pläne von Annaliese Ohm:

„Generell war sie sich wohl sehr bewusst, dass Ostasien und Europa verschieden sind und hat deshalb diese beiden Sammlungsbereiche auf zwei Etagen vorgesehen. Und es ist interessant, dass Meier diese zweite Etage, in der die ostasiatische Sammlung präsentiert wurde, mit einer anderen Proportion des Raums versehen hat. Das kann heute nur schwer nachvollzogen werden, weil die Bestände dort nicht mehr präsentiert werden. Aber grundsätzlich war es ein großer Unterschied, wenn man durch die erste Etage ging – durch die europäische Sammlung – und man die Rampe hoch in die zweite Etage kam – in die ostasiatische Sammlung. Hier hatte man sofort eine andere Raumaufteilung, weil alle Fenster bis zum Boden gehen.“

Sie erklärt die Entscheidung des Architekten damit, dass „in Japan, in Asien […] das Leben vom Boden her gedacht wird.“

Das damalige Ausstellungskonzept des Hauses war sachlich-nüchtern und wissenschaftlich und kaum an Richard Meiers außergewöhnliche Architektur angepasst. Ivonne Rochau-Balinge erinnert sich auch an Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Architekten und der Museumsdirektorin. Richard Meier wollte „ein Museum mit viel Glas, mit vielen Fenstern, und Ohm wollte ein Museum mit viel Ausstellungsfläche. Sie wollte viele Exponate ausstellen können. Und das funktioniert nicht, wenn überall Glas ist […].“

Am Ende einigten sich Richard Meier und Annaliese Ohm auf eine Innenraumarchitektur, die empfindliche Objekte vor zu viel Sonnenlicht schützte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte zur Neueröffnung Im Raum verlieren sich die Dinge und merkte an, dass die großflächigen Räume durch die vielen Einbauten zerstückelt würden. So urteilte die Autorin Arianna Giachi, dass „kaum etwas in [diesem] Neubau einen so reizvollen Blick auf sich zugestanden bekommt wie der Frankfurter Dom aus [dem] Fenster der Rampe.“

Heute fällt im Museum auf, dass die Dauerpräsentationen wie die Stilräume und die Sammlungsausstellung Elementarteile. Aus den Sammlungen weniger Platz einnehmen als der Raum, der für wechselnde Ausstellungen genutzt wird. 2013 wurde das Museum renoviert. Dabei ging es vor allem darum, die Ursprungsarchitektur von Richard Meier freizulegen. Die Einbauten mit Vitrinen und Podesten wurden entfernt. Die Räume wurden wieder luftiger und Sichtachsen geöffnet. Doch aufgrund der großen Fensterfronten werden für Ausstellungen nach wie vor Innenwände gebaut, um die Objekte lichtgeschützt auszustellen.

Ob Annaliese Ohm bewusst war, dass ein modernes, gläsernes Gebäude keine idealen Ausstellungsbedingungen bietet? Sie erkannte die Wirkung eines in die Stadt strahlenden Gebäudes, zentral am Eisernen Steg gelegen, als wichtig an. Vielleicht arrangierte sie sich aus diesem Grund mit zusätzlichen Einbauten, um Objekte ihren Vorstellungen entsprechend ausstellen zu können. Die Kunsthistorikerin Dr. Eva-Maria Hanebutt-Benz erinnert sich: „dass die besonders prägnanten Beispiele herausgestellt und kombiniert wurden. Anstatt in einem Raum nur Möbel und in einem anderen nur Töpfe und Teller auszustellen, wurde immer ein Bezug zwischen den Objekten hergestellt. Das machte die Sache lebendig.“

Die heutige Bespielung der Ausstellungräume mit wechselnden Ausstellungen, vielen Veranstaltungen und Performances denkt Annaliese Ohms Wunsch eines lebendigen Museums weiter.

 

Quellen:

Arianna Giachi, „Im Raum verlieren sich die Dinge. Die Einrichtung des neuen Museums für Kunsthandwerk in Frankfurt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 98, 27.04.1985.

Eva-Maria Hanebutt-Benz, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 13:50–14:10 Min.

Annaliese Ohm, „Geschichte des Museums und seiner Sammlung, in: Museum. Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt am Main, Braunschweig: 1985, S. 18 f.

Ivonne Rochau-Balinge, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 10:47–11:05 Min.

Sabine Runde, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 32:15–33:01 Min., 33:06–33:12 Min.

Bärbel Vischer, Die Aktuelle Museumspräsentation der fünf größten Kunstgewerbemuseen im deutschsprachigen Raum: Wien, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln, Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Innsbruck 1999.

Die Direktorin als Kuratorin

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Du befindest dich in der Dauerausstellung Elementarteile. Aus den Sammlungen. Es ist die Herzkammer des Museums. Hier werden Exponate unabhängig von ihren Sammlungsbereichen, ihrer geografischen Einordnung oder ihrer Entstehungszeit gezeigt. Die Objekte werden in ihrer Einzigartigkeit nebeneinander präsentiert.

Bis heute schöpft das Museum aus Dr. Annaliese Ohms vielseitigen Ankäufen, von denen auch hier einige zu sehen sind. Durch ihr feines Gespür bei der Auswahl der Exponate und ihre Leidenschaft für Glas erlangte das zeitgenössische Kunsthandwerk neue Bedeutung. 1976 initiierte Annaliese Ohm die europaweit erste Ausstellung zur internationalen Studioglasbewegung. Diese Bewegung entstand in den USA und wollte mit Glas künstlerische Vorstellungen realisieren, die vom Funktionalen unabhängig sind. Das freie Arbeiten an kleinen Studioglasöfen führte zum fantasievollen Umgang mit dem Material. Annaliese Ohm bewirkte mit der Ausstellung, dass Studioglas als künstlerische Arbeit wahrgenommen wurde, wie sich die Kuratorin Dr. Sabine Runde erinnert:

„Sie hat eine wahnsinnig große Ausstellung über […] die internationale Studioglasbewegung gemacht. Auch in unserer Sammlung ist davon ein reicher Bestand erhalten, den sie damals angekauft hat. Sie hat die Künstler auch live erlebt: Sie war in Amerika und hat die Studioglaskünstler in ihren Werkstätten, an ihren Studioöfen besucht. Sie war auch in Deutschland unterwegs und hat an den Symposien teilgenommen, die zu dieser Zeit veranstaltet wurden. Ich glaube dieser Besuch war für sie eine große Initialzündung, der Gegenwart eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hat die Künstler bei der Arbeit gesehen – diese Begegnungen haben eine enorme Begeisterung ausgelöst.

Daraufhin kaufte Annaliese Ohm das Glasobjekt von Marvin Bentley Lipofsky an, das auch hier in den Elementarteilen ausgestellt ist.

Als Direktorin des Museums trat Annaliese Ohm mit einem Konzept an, das die internationale Geltung der Sammlung verdeutlichen sollte. Sie entwickelte ein klares, didaktisches Programm, womit sie Einflüsse, Ähnlichkeiten und Gegensätze der Objekte aus unterschiedlichen Kulturbereichen aufzeigen wollte. So sollten die Besucher:innen nicht nur einen kunsthistorischen Eindruck erhalten, sondern auch einen lebendigen Einblick in die gesellschaftlichen Wandlungen der Epochen bekommen. Annaliese Ohm begriff das Museum als Begegnungsstätte für die Besuchenden, aber auch für verschiedene Kulturen. Der Grundgedanke des Museums war, dass die europäische Kultur Teil einer übergreifenden Kultur sei, die Europa und Asien verbindet.

In ihrer Abschiedsrede von 1987 beschrieb Annaliese Ohm dies so:

„Wie die Einbindung ihrer Erscheinungen [– damit meinte Ohm die Kunst –] über alle Grenzen hinweg in die Internationalität es deutlich macht, daß [sic!] es ja schon immer Verbindungen, auch zwischen den entferntesten Punkten der Erde gegeben hat, die manchmal offen zutage liegen und manchmal versteckt sind."

Kuratorin Sabine Runde erzählt von Annaliese Ohms Verhältnis zu den Museumsobjekten: „[…] Sie hatte eine große Liebe und eine enge Beziehung zu den Dingen und große Freude daran, diese mit anderen zu teilen. Sie hatte offensichtlich eine Vision, die sie vermitteln wollte.“

Das Museum sammelte zu Annaliese Ohms Zeiten angewandte Kunst in vier Bereichen: europäische, ostasiatische, islamische sowie Buch- und Schriftkunst. Ein herausragendes Beispiel in den Elementarteilen, das auch schon zu Annaliese Ohms Zeiten Teil der Sammlung war, ist der Liebestempel von Johann Joachim Kändler. Eine wichtige Erwerbung unter Annaliese Ohm war zudem der Toilettentisch von Abraham und David Roentgen, der ebenfalls in der Dauerausstellung zu sehen ist.

Auch initiierte Annaliese Ohm 1978 die erste Triennale des Deutschen Kunsthandwerks, die in Folge bis 2012 zehn Mal und meistens mit einem Partnerland hier im Museum stattfand. Damit machte sie nicht nur hochkarätiges Kunsthandwerk zugänglich, sondern schuf auch einen Raum, in dem Künstler:innen ausstellen konnten. Sie präsentierte Kunsthandwerker:innen der Gegenwart und kaufte Objekte von ihnen für die Museumssammlung an.

Annaliese Ohms Idee eines Museums – „lebendig [zu] bleiben, d.h. wandelbar und offen [zu] sein, neue Wege zu bahnen und Strömungen zu erkennen“ – ist auch heute noch ein Grundsatz des Museums.

 

Quellen:

Margrit Bauer, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 01.09.2021.

Margrit Bauer und Joachim Schwarzkopf (Hrsg.), Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main. 1974–1987, Frankfurt am Main: Museum für Kunsthandwerk 1987, S. 3 und 10 ff.

Hilmar Hoffmann, Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main, Frankfurt am Main: Museum für Kunsthandwerk, 1988, S. 10.

Museum für Kunsthandwerk (Hrsg.), Europäische Abteilung. Glas vom Jugendstil bis zur Gegenwart, Informationsblatt, 1990.

Oe., „Weizsäcker eröffnet neues Museum. Europa und Asien“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.04.1985.

Annaliese Ohm, Abschiedsrede, Manuskript, 20.05.1987, S. 2 f.

Annaliese Ohm, Bewerbung zur Direktorin des Museums für Kunsthandwerk, Personalakte, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: 1974, S. 11–31.

Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Große Verdienste um das Deutsche Kunsthandwerk. Zum Abschied der Museumsdirektorin Dr. Annaliese Ohm, Pressemitteilung, 18.05.1987.

Sabine Runde, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 33:50 Min., ab 35:00 Min.

Brücken schlagen

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Die Brücke, auf der du gerade stehst, verbindet die Historische Villa Metzler mit der neuen Architektur. Besucher:innen können hier nahtlos zwischen Alt- und Neubau wechseln, ohne die Gebäude zu verlassen.

Das Denkmalamt des Landes Hessen genehmigte den Neubau ursprünglich nur unter der Bedingung, auf den Übergang zu verzichten. Doch Annaliese Ohm akzeptierte diese Auflage nicht. Sie überzeugte vielmehr die politischen Vertreter:innen der Stadt Frankfurt, an der Brücke festzuhalten. So wurde in der betroffenen Wand Platz gelassen, um die bauliche Verbindung nachträglich einsetzen zu können. Dies blieb beim Land Hessen nicht unbemerkt, und schließlich verstärkte Kultusminister Hans Krollmann sein Verbot, die Brücke zu errichten, durch einen Erlass.

Annaliese Ohm – zielstrebig, hartnäckig, ausdauernd – ließ sich von den Widerständen nicht entmutigen und hielt nach wie vor an ihren Plänen fest. Ihre Vision war ein offenes Museum, in dem sich Menschen gerne mit der Sammlung beschäftigen. Sie wollte keine Kompromisse eingehen.

Zusammen mit den politischen Vertreter:innen der Stadt Frankfurt kämpfte sie also weiter für den Übergang. Die Frankfurter Dezernenten Hans-Erhard Haverkampf und Hilmar Hoffmann schlossen sich Annaliese Ohms Argumentation an, dass „die Brückenverbindung zwischen Alt- und Neubau aus museumsdidaktischen Gründen unverzichtbar sei“. Ohne Brücke wäre kein Rundgang zwischen Villa Metzler und Neubau möglich gewesen. Zusätzlich sei die Brücke der einzige Weg, die Villa Metzler Rollstuhlfahrer:innen zugänglich zu machen.

Schließlich entschied der hessische Kultusminister Hans Krollmann an seinem letzten Tag im Amt entgegen den Empfehlungen seines Landesdenkmalamtes, dass die Brücke gebaut werden dürfte. Sie wurde erst einen Monat vor Fertigstellung des Gebäudes eingesetzt. Warum Hans Krollmann sich im letzten Moment umentschied, blieb leider unklar. Ließ er sich von Annaliese Ohms Vehemenz, ihren Argumenten, ihrer Leidenschaft für den Museumsneubau überzeugen?

In jedem Fall ist die Brücke ein Zeichen für Annaliese Ohms unermüdliche Beharrlichkeit und Überzeugungskraft. Und ein Zeichen dafür, dass sich auch Dinge verändern lassen, die zunächst unveränderbar scheinen.

 

Quelle:

U. M. R.: „‚Abschiedsgabe‘ des Kultusministers: Museumsbrücke wird gebaut. Krollmann revidiert eigenen Erlass / Hoffmann und Haverkampf setzten sich durch / Protest von SPD und Grünen“, in: Frankfurter Rundschau, 171, 25.07.1984.

Einladung zur Aneignung

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Du stehst gerade vor der Tiefenterrasse von Create. Create, so heißt die Bildungs- und Vermittlungsabteilung des Museum Angewandte Kunst. Früher als „Museumspädagogik“ bezeichnet, wird sie immer noch von vielen so genannt. Museumspädagogik gehört heute wie selbstverständlich zu einem Museum und dem Museumsbesuch dazu.

Vor ein paar Jahrzehnten noch war das anders. Ob Create oder Museumspädagogik: Der individuelle Zugang zu Kunst und Kultur wurde zu Dr. Annaliese Ohms Zeiten nicht selbstverständlich mitgedacht. Annaliese Ohm jedoch war die Kunstvermittlung sehr wichtig. Besonders das zeitgenössische Kunsthandwerk wollte sie dem Museumspublikum näherbringen.

Sie schrieb bereits 1974 in ihrer Bewerbung auf die Direktion des Hauses:

„Steht der Besucher, der kein Fachwissen hat, vor diesen Dingen, kann er sich ohne Information keine Vorstellung machen von den sozialen Hintergründen und funktionalen Prozessen, die zur Entstehung der Objekte führten. Es erscheint mir wichtig, Hilfestellung bei diesen Kommunikationsfragen und Lernprozessen zu bieten, die sich zwischen Besucher und Objekt ergeben.“

Außerdem argumentierte sie: „Erst in einem Neubau könnten alle didaktisch und kunsthistorisch wertvollen Objekte ständig gezeigt werden, und jedermann erhielte erst dann die ihm zustehenden weit größeren Bildungsmöglichkeiten.“

Spätestens mit dem Neubau tat sich Annaliese Ohm als Visionärin hervor: Die Vermittlung von Kunst und Kunsthandwerk war von Anfang an Teil des architektonischen Gesamtkonzepts. Das ganze Untergeschoss des Museums wurde für das eigene kreative und kunsthandwerkliche Handeln der Besuchenden aus- und eingerichtet.

Durch die Fenster hindurch kannst du die zwei Werkstatträume erahnen: auf der rechten Seite einer „fürs Gröbere“, also fürs Töpfern, Drucken, Malen, Sägen. Der linke Raum ist für „feinere“ Arbeiten gedacht, wie Entwürfe sowie Zeichen-, Mode- oder Medienworkshops. Außerdem gibt es noch einen Vortragssaal.

Alle Räume haben eine wichtige Gemeinsamkeit: Sie können unabhängig vom regulären Museumsbetrieb geöffnet und dadurch auch individuell genutzt werden. Auch das gehörte zu Annaliese Ohms Konzept des Neubaus.

„Sie wollte kein elitäres Haus. Sie hat immer […] daran gedacht, die Erklärungen auch so zu formulieren, dass alle Bevölkerungsschichten, auch Kinder, diese verstehen und wahrnehmen konnten. Ich denke auch der Aufbau des Museums war in diesem Sinne […] mitgedacht.“ – erinnert sich Dr. Eva-Maria Hanebutt-Benz, die mit Annaliese Ohm am damaligen Museum für Kunsthandwerk arbeitete. Annaliese Ohms Vorstellungen von Museumspädagogik waren geprägt von „aktiver Aneignung“ der Ausstellungsinhalte.

„Das eigene Tun – Kneten und Formen in Ton, Entwerfen von Mustern und Gebrauchsgegenständen, Drucken selbstgeschaffener Grafiken, Anfertigen von Schmuck und was auch immer sonst möglich ist, ist hier nicht nur „Basteln“ im üblichen Sinne, sondern schafft nützliche Kenntnisse in kunsthandwerklichen Techniken und eine Sensibilisierung für die besondere künstlerische Qualität der ausgestellten Objekte.“ So wird die museumspädagogische Abteilung in einem Museumsführer von 1985 beschrieben.

Create, wie die Museumspädagogik heute heißt, arbeitet ganz in Annaliese Ohms Sinne. „Create“, also übersetzt „Gestalte!“ ist als Aufforderung gemeint, weil hier alle selbst tätig werden können und sollen. Auf dem Fundament, das Annaliese Ohm damals legte, wird heute noch gearbeitet.

 

Quellen:

Eva-Maria Hanebutt-Benz, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, 12:52–13:14 Min.

Eva-Maria Hanebutt-Benz, „Spielen, Werken und Lernen im Museum“, in: Museum. Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt am Main, Braunschweig: 1985, S. 126.

Annaliese Ohm, Bewerbung zur Direktorin des Museums für Kunsthandwerk, Personalakte, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: 1974, S. 11–31.

Ein neues Logo für neue Visionen

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Dieses Baumes Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn.
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Dass ich eins und doppelt bin?

 

Inspiriert von Goethes Liebesgedicht Ginkgo biloba, führte die damalige Museumsdirektorin Dr. Annaliese Ohm das Ginkgoblatt 1974 als Logo des Museums ein. Mit dem Ginkgoblatt schuf sie ein Symbol für Offenheit und Austausch zwischen östlicher und westlicher Kultur, denn schon damals bestanden wesentliche Sammlungsbereiche des Hauses aus ostasiatischem und europäischem Kunsthandwerk. Das zweiblättrige Ginkgoblatt verkörpert mit seiner geteilten und zugleich verbundenen Form Annaliese Ohms Vision: das Museum zu einem internationalen und interkulturellen Ort zu machen. Zu einem Ort, der Kulturen verbindet, ohne sie ihrer Individualität zu berauben.

Goethe schrieb sein Gedicht im Jahr 1815 nach einem Besuch in Frankfurt. Es heißt, dass er auf dem Gelände des heutigen Museum Angewandte Kunst zwei Ginkgoblätter sammelte und als Anregung für sein Gedicht nutzte. Ginkgos stammen aus China und waren deswegen zu Goethes Zeit sehr außergewöhnlich. Wie kamen sie also an diesen Ort? Johann Peter Salzwedel, der ursprüngliche Besitzer der heutigen Historischen Villa Metzler und des dazugehörigen Parks, hatte sie gepflanzt. Sie stehen noch heute auf dem Gelände.

Die beabsichtigte Symbolkraft des Ginkgoblattes reiht sich in die für die damalige Zeit progressiven Visionen Annaliese Ohms ein: das Museum zu öffnen, Dialoge zwischen Besuchenden zu ermöglichen, Barrieren abzubauen und mit dem Museum einen Ort der Heimat zu schaffen.

 

Quellen:

Margrit Bauer und Joachim Schwarzkopf (Hrsg.), Museum Für Kunsthandwerk Frankfurt am Main. 1974–1987, Frankfurt am Main: Museum für Kunsthandwerk 1987, S. 8.

„Denn das Leben ist die Liebe….“. Marianne von Willemer und Goethe im Spiegel des West-östlichen Divans, hrsg. v. Hendrik Birus und Anne Bohnenkamp in Verbindung mit Christoph Perels, Andrea Polaschegg und Joachim Seng, Ausst.-Kat. Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum, Frankfurt am Main: Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum 2014, S. 164 u. 166.

Museum Angewandte Kunst, Vom Salzwedel’schen Garten zum Metzlerpark. Online: https://www.museumangewandtekunst.de/de/museum/historische-villa-metzler/metzlerpark/ (abgerufen am 22.09.2021).

Richard von Weizsäcker, Rede zur Eröffnung des Museums für Kunsthandwerk in Frankfurt, Manuskript, 25.04.1985, S. 10–15.

Wer war Annaliese Ohm?

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„Durch und durch sachlich / absolut zugewandt / flexibel / warmherzig / sie wusste was sie wollte und sie bekam auch was sie wollte / progressiv / sehr konsequent / man fühlte sich wertgeschätzt / keine Scheu vor männlichen Koryphäen / sehr strukturiertes Denken / sie war sehr gut vernetzt / sie war sehr engagiert / sie war eine intelligente, kunstbeflissene, energische Frau / sehr fürsorglich, sehr familienbewusst / sie hat uns Flügel gegeben / durchsetzungsfähig / mit einer großen Liebe und einer engen Beziehung zu den Dingen / die zuhörte, die aber auch gleichzeitig eine sehr dezidierte Meinung hatte / fand ich schon fortschrittlich / immer gut gelaunt / als konservativen Menschen empfunden / sie war wirklich eine Persönlichkeit, die man eigentlich nicht so einfach vergisst“

Du stehst gerade vor den Restaurierungswerkstätten, dem Archiv des Museums und der Schreinerei. Hier waren bis 1985 Büros und die Verwaltung untergebracht, da das Museum für Kunsthandwerk damals nur aus der Historischen Villa Metzler und den hier zu sehenden Gebäuden bestand.

Die 1920 in Schlawe (poln. Sławno) geborene Annaliese Ohm entdeckte schon früh ihre Leidenschaft für Kunst und besonders für Kunsthandwerk. 1940 begann sie ihr Studium der Kunstgeschichte und Archäologie, 1951 promovierte sie. Ihr Studium finanzierte sie, indem sie Stroh zu Alltagsobjekten flocht und diese verkaufte. Ihre Nichte beschrieb Annaliese Ohm als geschickt und fantasievoll. Darauf folgten viele Jahre, in denen sie erste Berufserfahrungen im Kultusministerium, in der Denkmalpflege und dem Landschaftsverband in Nordrhein-Westfalen sammelte. Führungen und Kurse, die sie Schüler:innen, Studierenden und interessierten Lai:innen gab, zeigten bereits damals, wie sehr sie sich für die Vermittlung von Kunst und Kultur begeisterte. Ihre Bildungsreisen in Länder wie Schweden, England, Italien, Griechenland, Ägypten und die Tschechoslowakei (heute: Tschechien, Slowakei und Teil der Ukraine) machten Annaliese Ohm deutlich, so sagte sie selbst, „welche Hilfe und welche Tröstung von der Kunst ausgeht“.

Ab 1964 arbeitete Annaliese Ohm im Museum für Kunsthandwerk als einzige wissenschaftliche Mitarbeiterin des damaligen Direktors. Zwei Jahre später wurde sie zur Abteilungsleiterin und Kuratorin für europäisches Kunsthandwerk ernannt. 1974 trat sie die Stelle als erste weibliche Direktorin des Museums an. Die bekannten Frankfurter Museen wurden in den 1970er Jahren allesamt von Männern geleitet, nur das Museum für Kunsthandwerk nicht! So erinnert sich auch Ivonne Rochau-Balinge, die mit Annaliese Ohm später im International Women’s Club of Frankfurt e. V. zusammengearbeitet hat:

„[…] In den […] 1970er und 80er Jahren war es ungewöhnlich, dass eine Frau ein Museum leitete. Aber sie hat es mit ihrem Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen geschafft und sie hatte die Gabe mit einer gewissen charmanten Art Leute zu überzeugen. Aber sie konnte auch knallhart sein. Das musste man auch sein, um sich behaupten zu können.“

Als Annaliese Ohm ihre Stelle antrat, hatte das Museum für Kunsthandwerk nur wenige Mitarbeitende. Nach und nach schaffte sie es, die dringend zu besetzenden Stellen für die Museumspädagogik, die Schreinerei sowie Restaurierung und Kuration einzurichten. Ihre Vision, das Museum neu, professionell und der großen Sammlung angemessen aufzustellen, konnte sie nun durchsetzen.

Annaliese Ohm förderte besonders weibliche Museumsmitarbeiterinnen. Ihre damalige Kollegin Dr. Eva-Maria Hanebutt-Benz erzählt:

„Sie hat zum Beispiel […] ermöglicht, dass ich ein Fullbright Reise-Stipendium in den USA wahrnehmen konnte und so vier Wochen durch amerikanische Museen mit einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen aus Europa gereist bin. Ich konnte alles ansehen, Vorträge und vieles mehr miterleben. Dass Ohm das für eine jüngere Kollegin, eine untergeordnete Mitarbeiterin möglich machte […]. Da schimmerte schon ein sehr starkes, menschliches Interesse durch.“

Annaliese Ohms progressive Museumspolitik zeigte sich auch darin, dass sie die leitenden Stellen im wissenschaftlichen Bereich inklusive der Kunstvermittlung fast ausschließlich mit Frauen besetzte. Sie leitete ihre Mitarbeitenden an, selbstständig und verantwortungsbewusst zu arbeiten und sich eigenständig einzubringen.

War diese Förderung ganz bewusst auf Frauen ausgerichtet, vielleicht sogar ein feministischer Ansatz? Auch wenn wir das aus heutiger Sicht nicht sicher beantworten können, so lässt sich eines klar festhalten: Annaliese Ohm wollte auch Mitarbeiterinnen mit Familie eine Karriere ermöglichen, was bis heute längst nicht überall erreicht wird! Sie richtete deshalb ihre Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse von Frauen und engagierte sich auch im International Women’s Club of Frankfurt e. V., dessen Präsidentin sie von 1988 bis 1989 war.

Ihr Mut, ihre Kraft und ihr Durchhaltevermögen gründeten in ihrer „oft verzweifelten Suche nach Heimat“, wie sie selbst sagte. Annaliese Ohms existenzielles Bedürfnis, mit Kunst und Kultur eine Heimat zu schaffen, lässt sich vermutlich durch ihre eigene Flucht aus Kolberg (poln. Kołobrzeg) 1945 erklären. Sie verstand das Museum als einen Ort, der – unabhängig von seiner geografischen Lage – für Menschen eine Heimat sein kann.

Kurz nach ihrer Pensionierung 1987 bekam Annaliese Ohm für ihre herausragenden Leistungen für das zeitgenössische Kunsthandwerk und die Verwirklichung des Neubaus das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Nach über vierzig Jahren erfolgreicher Tätigkeit in der Kunst- und Kulturszene bezog sie 2000 ein Altenheim in Lübeck, wo sie drei Jahre später verstarb.

Welche nachdrückliche Wirkung Annaliese Ohm als Museumsdirektorin hatte, beschreibt Dr. Sabine Runde: „Wenn man gefördert wird, lernt man viel. Alleine schon diese positive Haltung bringt einen weiter. Sie verhilft einem Mut zu haben Entscheidungen zu treffen und Vertrauen zu haben. Nicht nur in sich selbst, sondern auch in andere.“

 

Quellen:

Familie Bartels, Traueranzeige, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.2003.

Margrit Bauer, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 01.09.2021, ab 26:52 Min., ab 26:58 Min., ab 27:00 Min., ab 27:02 Min., ab 27:16 Min.

Roland Burgard, Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main, Frankfurt am Main: Museum für Kunsthandwerk, 1988, S. 28.

Inge Burggraf, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 07:21 Min., ab 07:40 Min.

H. D., „Zu wenig Platz für viele Schätze. CDU-Politiker informieren sich im Kunsthandwerksmuseum“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 48, 01.03.1978.

W. E., Frankfurt Gesichter. Annaliese Ohm, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.1982.

A. G., „Die Sammlungen fürs Publikum. Dr. Annaliese Ohm wird neue Direktorin des Kunsthandwerkmuseums“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 119, 24.05.1974, S. 52.

Antje und Johannes Hachmöller, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 22.09.2021, ab 08:50 Min., ab 08:56 Min.

Eva-Maria Hanebutt-Benz, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 01:40 Min., ab 01:45 Min., ab 05:30 Min., ab 20:00 Min., ab 20:06 Min., ab 25:16 Min., 25:30–25:35 Min., 25:40–26:12 Min., ab 28:04 Min., ab 28:19 Min., ab 28:30 Min., ab 28:36 Min., ab 29:57 Min., ab 30:10 Min.

International Women's Club Frankfurt e. V., Traueranzeige, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, März 2003.

Annaliese Ohm, Abschiedsrede, Manuskript, 20.05.1987, S. 2.

Annaliese Ohm, Lebenslauf, Museumsarchiv.

Annaliese Ohm, Lebenslauf, Personalakte, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: 1964.

Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Bundesverdienstkreuz für Dr. Annaliese Ohm. Bürgermeister Dr. Hans-Jürgen Moog überreicht den Orden, Pressemitteilung, 11.11.1987.

Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Große Verdienste um das Deutsche Kunsthandwerk. Zum Abschied der Museumsdirektorin Dr. Annaliese Ohm, Pressemitteilung, 18.05.1987.

Ivonne Rochau-Balinge, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 00:44 Min., ab 01:08 Min., ab 01:13 Min., ab 37:40 Min., ab 41:31 Min.

Sabine Runde, Gespräch, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 14.07.2021.

Sabine Runde, Interview, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 30.08.2021, ab 25:20 Min., ab 35:00 Min.

Epilog


Audiotext

In diesem Rundgang geht es nicht darum, sich auf Spurensuche zu begeben oder der Museumsgeschichte nachträglich diversere, das heißt auch weibliche Geschichte überzustülpen.

Es geht darum, Geschichte und ihre potenzielle Fluidität zu befragen. Es geht aber auch darum, Geschichte anders weiterzuschreiben. Dabei Frauen und andere Geschlechter nicht zu vergessen. Denn ob eine Person Geschichte schreibt, ist nicht abhängig vom Geschlecht.

Das, was wir als historisch festgesetzte Fakten und Geschehnisse der Vergangenheit wahrnehmen, ist immer von der Geschichtsschreibung rekonstruiert. Und Geschichtsschreibung ist subjektiv. Geschichte ist demnach ein dialektischer, dynamischer, niemals abgeschlossener Prozess, der immer auch die Gegenwart kommentiert. Sogar bis in die Zukunft strahlt.

Wir haben die Geschichte des Museum Angewandte Kunst weitergeschrieben und kennen jetzt Dr. Annaliese Ohms Errungenschaften. Wir wissen, dass das Museum Angewandte Kunst, wie es heute ist, ohne sie nicht existieren würde.

Du kannst die Geschichte anders schreiben, indem du in deiner eigenen Geschichte schaust, welche Person, welches Kapitel darin vielleicht vergessen wurde.

Du kannst Geschichte schreiben, indem du immer wieder hinterfragst, wer an den Orten, die du besuchst, vielleicht vergessen wurde. Schau nach den Leerstellen.

Wir hören uns! Bis zum nächsten Angewandte Walk.

 

Quellen:

Susanne Maurer, „‚Gedächtnis der Konflikte‘? Reflexion einer historiographiepolitischen Denkfigur“, in: J. Richter (Hrsg.), Geschichtspolitik und Soziale Arbeit, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 11–30.

„scan & start“: So geht’s  

Du bist an unserem Infopoint oder an einer Audiostation auf einen QR-Code gestoßen, hast ihn eingescannt und bist so in dieser Web-App gelandet. Oder du bist über die Museumshomepage gekommen.

Damit du gleich mit dem Rundgang starten kannst, hier die wichtigsten Funktionen der App:

Verwende beim Hören der Audiodateien bitte Kopfhörer, insbesondere im Museumsgebäude, damit andere Besucher:innen nicht gestört werden.

Was für ein Rundgang ist das?

Dieser Audiorundgang erzählt vom Wirken der ehemaligen Direktorin des heutigen Museum Angewandte Kunst, Dr. Annaliese Ohm. Damals hieß das Haus noch Museum für Kunsthandwerk, und Annaliese Ohm war die erste und bislang einzige Frau, die Direktorin des Museums war. Sie legte den Grundstein für viele wichtige spätere Entwicklungen.

Über Annaliese Ohm war wenig bekannt – sei es im Museum selbst oder auch außerhalb. Das Anliegen dieses Rundgangs ist es, ihr Schaffen aufzuarbeiten und aktiv dem Vergessen wirkmächtiger Frauen in der Geschichte gegenzusteuern.

Acht Audiostationen beleuchten unterschiedliche thematische Schwerpunkte. Hinzu kommen ein Prolog und ein Epilog, die nur hier in der App zu finden und keiner Station zugeordnet sind. Sie bilden den Anfang und das Ende des Rundgangs.

Fünf Stationen befinden sich im Außenbereich des Museum Angewandte Kunst – sie sind durch Schilder, auf denen sich Icons und QR-Codes befinden, markiert. Drei Stationen liegen im Museumsgebäude. Um diese vor Ort zu erleben, wird ein Museumsticket benötigt.

Die blauen Fähnchen verorten die Stationen auf der Karte, während die darin abgebildeten Icons Hinweise zu den Inhalten der Hörbeiträge liefern. Die Stationen können in beliebiger Reihenfolge besucht werden; mit eingeschaltetem GPS ist eine Navigation vor Ort möglich. Der Rundgang funktioniert aber auch ohne GPS, und die Audiodateien können an jedem beliebigen Ort angehört werden.

Der Infopoint mit einem Übersichtsplan, auf dem die einzelnen Stationen verzeichnet sind, steht im Innenhof des Museums. Auf der Karte ist er mit einem i gekennzeichnet.

Es wird darum gebeten, Kopfhörer zu verwenden.

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